Du hast dir also einen Mastodon-Account geklickt. Welcome to the Fediverse!

written on Thu 28 April 2022 by

Irgendwas ist wieder passiert. In regelmäßigen Abständen passieren Momente, in denen man als Nutzer*in kommerzieller sozialer Netzwerkplattformen mit deren hässlicher Realität konfrontiert wird. Die Tatsache, dass der reichste Diamantenminensprössling der Welt einfach eine ganze solche Plattform kaufen kann, ist mal wieder so ein Moment. Auf der Suche nach Alternativen, die nicht all zu weit vom Gewohnten weg sind, legen sich gerade wieder viele Menschen eine Account auf Mastodon an, die allermeisten davon auf dem mit Abstand größten Server mastodon.social. Das ist eigentlich cool und gleichzeitig ein Problem.

In diesem Text versuche ich ein paar Sachen zu beschreiben, über die Menschen mit neuen Accounts stolpern könnten, es ist also keine grunlegende Einführung. Es gibt bereits einige richtig gute Beiträge, die die verschiedene technische Aspekte oder Features von Mastodon und des Fediverse beschreiben. Davon gibts hier schnell eine Liste und ich halt mich in dem Part kurz.

Protokoll statt Plattform

Mastodon ist ein Teil eines viel größeren Netzwerks, das sich aus vielen miteinander verbundenen (föderierten) Servern zusammen setzt. Diese sprechen alle die selbe Sprache, und können deswegen Posts, Nachrichten, Likes etc, unter einander austauschen. Solche Netzwerke bezeichnet man als “föderierte” Netze, und daher kommt auch der Name dieses digitalen Umfeldes: Es ist das Fediverse. Du benutzt ziemlich sicher bereits andere solche föderierten Netze - Emails sind das berühmteste Beispiel. Es gibt nicht einen einzigen Emailserver, über den alle Nachrichten laufen müssen. Google arbeitet da zwar hart dran, aber trotzdem gibt es weiterhin viele kleine Emailserver, die untereinander Nachrichten austauschen können. Das Fediverse hat die Funktionen sozialer Netzwerke für so ein dezentrales und forderiertes Netzwerk abstrahiert und nutzt dafür das so genannte ActivityPub-Protokoll.

Deswegen sieht z.B mein Username im Fediverse so aus: @tobbsn@post.lurk.org. Wie bei einer Email-Adresse habe ich einen Account @tobbsn auf einem Server @post.lurk.org, und kann mit dieser Kombination von jedem anderen Server im Fediverse aus gefolgt, per DM angeschrieben, gefavt oder sonstwas werden. Diese Server werden Instanzen genannt, und sind nicht nur für hübsche oder lustige Adressen da, sondern ein entscheidender Teil deiner täglichen Erfahrungen im Fediverse

Bleib nicht auf mastodon.social

Die Tatsache, dass es viele solche Server geben kann, und dass diese jeweils für sich entscheiden können, welche Regeln auf ihnen gelten, macht eine der Besonderheiten des Fediverse aus. Dadurch entstehen viele kleine Communities, die sich rund um ihrer eigenen Bedürfnisse und Wünsche organisieren können. Und wenn du einen Account auf so einem Server hast, kannst du trotzdem noch mit anderen Accounts auf anderen Servern interagieren. Es sei denn, die Adminas deiner Instanz haben beschlossen, eine ganze Instanz komplett zu blockieren - Was zum meistens zum Beispiel schnell mit Servern passiert, die Inhalte von Neonazis zulassen, oder von denen Spam kommt.

Viele solcher Instanzen haben bestimmte Themen, rund um die sich die Community organisiert. Die so genannte local timeline zeigt dir nur Beiträge an, die auf deiner Instanz gepostet wurden - und ist damit ein guter Ort, um neue Nutzer*innen zu finden und kennen zu lernen. Rund um die lokale Timeline entwickeln sich oft die schönsten Gemeinsamkeiten einer Community. Und das ist natürlich nur möglich, wenn diese Timeline nicht all zu voll ist, die Gesamtzahl der Nutzer*innen deiner Instanz also nicht gar zu hoch ist.

Die Moderation der Beiträge, die auf einem Server veröffentlicht werden, ist Aufgabe der jeweiligen Administrator*innen und extra benannten Moderator*innen eines Servers. Auf den wenigen riesigen Instanzen des Fedivers wird deswegen kaum noch moderiert, die Grenze des überschaubaren ist für ein Team an Freiwilligen dort oft schon längst überschritten. Viele Adminas betrachten große Instanzen, insbesondere mastodon.social als unmoderiert, und blocken die Verbindungen damit, um ihre Nutzer*innen vor Spam und Übergriffen zu schützen. Deswegen ist es ein Problem, dass so viele neu Interessierte genau dort landen. Als unmoderierter Ort ohne bestimmte Community ist bringt es the worst of both worlds zusammen.

Zum Glück ist es möglich, zwischen verschiedenen Instanzen zu wechseln. Im oben verlinkten Video gibts eine kurze Anleitung dazu.

Nicht alle Instanzen lenken große Aufmerksamkeit auf sich, die meisten wollen das gar nicht. Aber es gibt sehr viele davon, das Fediverse ist eine Community of Communities, und die können sehr unterschiedlich aussehen.

Kultur des Fediverse

Ich verstehe das Fediverse immer als Versuchslabor eines besseren digitalen sozialen Umfelds. Vieles funktioniert wie gewohnt, einiges ganz anders. Einige der Besonderheiten sind viel mehr Gepflogenheiten, ähnlich dessen, was früher einmal Netiquette genannt wurde. Ein paar Beispiele dafür könnten sein:

Bildbeschreibungen: Während Birdsite (also Twitter) nach langer Weigerung doch auch endlich so genannte Alt-Texte eingeführt hat, sind diese Bildbeschreibungen schon lange ein wichtiger Bestandteil der Kultur des Fediverse. Sehr viele Accounts interagieren nicht mit Posts, die Bilder ohne Beschreibung beinhalten - eine Strategie um die Nutzung von Barrierefreiheits-Feartures zu normalisieren. Das hilft nicht nur Menschen, die unbedingt drauf angewiesen sind, wie dieser Post zum Curb-Cut Effect beschreibt.

Content Warnings (CWs): Nicht jede Funktion ist im ganzen Fediverse vertreten. So sind zum Beispiel CWs ursprünglich nur von Mastodon eingeführt worden, aber sehr viele andere ActivityPub-Implementierungen haben die sofort übernommen, weils einfach eine richtig gute Idee ist. Egal ob für Spoiler oder potentiell verstörende/retraumatisierende Themen: Nutzt gerne, oft und viele Content Warnings. Es gibt hier eine kleine Einführung mit Empfehlungen, wie ihr diese Funktion gut nutzen könnt.

Post Visibility: Dass ihr bei jedem Post einzeln einstellen könnt, mit welcher Sichtbarkeit es gepostet wird, habt ihr wahrscheinlich schon gesehen. Dadurch entstehen einige Möglichkeiten, die gerne gesehen werden:

  • Wenn ihr mehrere Posts in Threads verketten wollt, dann gilt es als nett, nur den ersten Post public und dann die folgenden unlisted zu posten. Dadurch füllt ihr die öffenlichen Timelines nicht mit Textfetzen an, die ohne Kontext keinen Sinn ergeben. Das ist für alle angenehmer, weil das allgemeine Volumen an Posts nicht zu hoch getrieben wird - und Menschen, die euren Thread lesen wollen, können trotzden mit einem Klick auf den ersten Post die ganze Kette lesen. Wenn ihr allerdings wirklich lange Threads machen wollt, überlegt euch doch lieber, einen Blogpost zu schreiben und in einem Post zu verlinken: Blogposts sind nicht nur leichter zu finden und zu lesen, sie sind meistens auch verständlicher, weil sie gesamt als Text konzipiert sind.

  • Es ist auch richtig praktisch, in Unterhaltungen mit anderen Accounts die Sichtbarkeit zu wechseln. Von public zu unlisted, wenn die Unterhaltung länger wird, aus den gleichen Gründen des allgemeinen Postingaufkommens in den öffentlichen Timelines. Direkt auf private Postiings zu wechseln dann auch praktisch, weil so eine Unterhaltung zu einem Thema direkt weiter geführt werden kann - auch wenn andere dann nicht mehr mitlesen sollen. Private Posts sind die DMs des Fediverse, diese sind jedoch nicht ende-zu-ende Verschlüsselt, sondern werden per SSL verschlüsselt zwischen euren jeweiligen Servern ausgetauscht. Das ist nicht ideal, aber auch kein Grund zur Panik: Während eure Server-Adminas damit theoretisch diese nachrichten lesen können, haben sie im Gegensatz zu Google, Facebook und Twitter keinen Grund dazu. Für Unterhaltungen, die tatsächlich sicher sein sollen, gibt es besser geeignete Protokolle.

Follow Requests: Wenn Leute ihre Profile auf locked eingestellt haben, dann könnt ihr ihnen nicht direkt folgen, sondern nur Follow Requests schicken, die sie dann einzeln zulassen oder ablehnen können. Besonders, wenn ihr mit diesen Menschen noch nie interagiert habt, und sie euch nicht folgen, gilt es als freundlich, vorher eine kurze Nachricht zu schicken, ob ein Follow Request okay ist. Menschen haben viele Gründe, ihre Accounts privat zu halten.

This is not corporate social media’s dopamine machine

Das Fediverse funktioniert anders und das ist gut so. Ihr werdet hier viel weniger große, krass virale Posts sehen, mit denen schon vierhundertdreiundsiebzigtausend Menschen interagiert haben. Ihr werdet sie wahrscheinlich bald nicht mehr so sehr vermissen. Das Fediverse ist langsamer, weniger Aufmerksamkeitsfarm und tatsächlich viel mehr ein Ort der kleineren Interaktion.

Silvio Lorusso schlägt euch gerade frisch von Twitter hierher übersiedelten also folgendes vor:

tobbsn@konsole:~$ curl -s https://post.lurk.org/api/v1/statu
ses/108208760153189693 | jq '.content,.created_at,.account.
username,.account.url'
    "You came here to leave behind algorithmic feeds, 
    advertisement and annoying overruling billionaires. But,
    probably, you won't immediately delete all your 
    corporate social media accounts. It's not easy, I get it
    .

    The good news is that being active in different social 
    media could mean experimenting with different social 
    media behaviors. If corporate social media are spammy 
    and attention-grabbing, why not using them only for the 
    spammy and attention-grabbing posts, for the relentless 
    self-promotion that many of us are sort of required to 
    do for work?

    Let's leave the eyeball-accumulation mindset to birdsite
    (that's what we call Twitter here), facebook and 
    instagram. Free from that burden, we can make this a 
    space of authentic exchange, not one where everyone 
    shouts at one another while nobody is listening."
    "2022-04-28T08:30:45.904Z"
    "entreprecariat"
    "https://post.lurk.org/@entreprecariat"

Mastodon und Twitter sehen in vielem vielleicht ähnlich aus, aber funktionieren doch anders. Es gibt zwar einige Möglichkeiten, mittels so genannter cross poster Beiträge auf beiden Seiten gleichzeitig zu veröffentlichen, aber das wird nicht besonders gerne gesehen. Vor allem nicht, wenn dann auf die Interaktionen im Fediverse gar nicht mehr reagiert wird, weil ihr erst recht wieder nur auf Twitter hängt.

Die verschiedenen Feeds und Timelines des Fediverse werden euch nicht besonders sortiert angezeigt. Die Posts sind dort immer chronologisch gereiht, also die neuesten oben, die ältesten unten. Das ist nicht immer nur praktisch. Aber das heißt auch, dass euch nicht hauptsächlich Beiträge angezeigt werden, die Engagement auslösen sollen oder die sich ihre Reichweite erkaufen mussten. Die algorithmische Optimierung unserer Timelines nach den Qualitätskriterien von Daten und Werbung verkaufenden Plattformen ist zu einem großen Teil für das Elend verantwortlich, das diese Plattformen darstellen.

Es geht im Fediverse also viel weniger um virality oder audience. Ihr werdet beides nicht in der selben Form wie auf Twitter oder Instagram finden und das ist gut so. Es geht stattdessen viel eher um community.

Protokoll

Ich habe oben schon erwähnt, dass sich das Fediverse rund um den offenen Standard des ActivityPub-Protokolls entwickelt hat. Das ist auch großteils richig so. Es gibt verschiedene Server-Software, die dieses Protokoll versteht und deswegen mit den anderen Servern des Fediverse interagieren kann: Mastodon ist eine solche Implementierung, Misskey zum Beispiel eine andere. Die beiden sind sich sehr ähnlich, denn sie funktionieren beide als so genannte Microblogging-Umgebungen, so wie Twitter auch.

Aber mit dem ActivityPub-Protokoll lassen sich auch andere soziale Umgebungen bauen. Pixelfed funktioniert viel mehr wie Bildern, so wie ihr es vielleicht von Instagram kennt. Die Oberfläche von Friendica ist recht nahe an einer klassischen Facebook-Umbegung. Lemmy ist ein Link-Aggregator, so wie etwa Reddit.

Mit Peertube gibt es Server zum Streaming von Videos, die ihr dann mit jedem Account im Fediverse liken, kommentieren und teilen könnt. Sogar die klassische Blogging-Plattform Wordpress kann so konfiguriert werden. Die Definitionen des Protokolls sehen keine einzelne Art vor, mit den Beiträgen anderer zu interagieren. Und während nicht alle alle Funktionen von allen anderen unterstützen werden, sind bestimmte Basisfunktionen so abstrahiert, dass sie zwischen all diesen unterschiedlichen Projekten funktionieren.

Durch diese vielen Projekte gibt es auch eine breite Palette von mobilen, Web- und Desktopclients um mit dem Fediverse zu interagieren. So ist etwa Tusky ein sehr ausgereifter Android-Client für Mastodon, während Fedilab versucht, auch andere Teile des Fediverse hervorzuheben. Sengi ist ein interessanter Desktop-Client, der sehr praktisch ist, falls ihr mehrer Accounts habt. Aber auch im Webbrowser gibt es alleine für Mastodon schon unterschiedliche Interfaces. Sucht zum Beispiel in den Einstellungen nach dem advanced web view, um mehrere Spalten gleichzeitig zu betrachten. Manche Instanzen haben alternative Oberflächen wie Pinafore installiert.

Der Begriff Fediverse ist mittlerweile fast synonym für ActivityPub geworden. Aber er umfasst eigentlich auch andere Protokolle wie etwa matrix für verschlüsselte Chats, Instant Messaging oder discord-artige Server mit mehreren Räumen. Oder vielleich erinnert ihr euch an Diaspora*, das immer noch aktiv ist. Manche Implementierung sprechen viele solcher Protokolle und können dadurch zu interessanten Knotenpunkten werden, Hubzilla ist so ein Projekt.

Diese Art, die Möglichkeiten digitaler Vernetzung nicht mehr auf einschließenden Plattformen, sondern entlang von offenen Standards und Protokollen zu denken wird auch oft unter den Begriffen indyWeb oder smolweb gefasst.

The Fedi has baggage

Als soziales Experiment, das mittlerweile schon seit einigen Jahren läuft, hat das Fediverse auch schon so manche Narben und weniger ruhmreichen Episoden.

Zum einen gibt es regelmäßig Berichte über Dynamiken, die oft in Räumen auftreten, die stark von weißen Menschen geprägt sind. Damit meine ich Dinge wie Bevormundung, Silencing und andere Formen von Rassismus. Dies ist ein Erfahrungsraum, der mir nicht aus der Perspektive von Betroffenen offen steht, deswegen bin ich sehr dankbar für die Arbeit von schreibenden Menschen wie Marcia X, die einen Blogpost über The Fediverse and Accountability geschrieben, und mittlerweile auch gratis veröffentlicht hat.

Unless we all have to take accountability for our actions, accountability, restorative justice, or whatever else we can call it, doesn’t exist in the space.

Mit anderen Dingen konnte das Fediverse besser umgehen. Als sich die notorisch neonazistische Plattform Gab dot com entschied, eine Mastodon-Instanz aufzusetzen, schaffte es die Bewegung “Isolate Gab!” fast alle großen Instanzen dazu zu bringen, jede Verbindung mit diesem Server und denen in seiner Umgebung zu kappen. Das war so effektiv, dass Gab den Service mittlerweile eingestellt hat.

Dieses Thema ist jedoch noch nicht vorbei. Auch wenn es bisher keine Anzeichen darauf gibt, dass dort eine Föderation mit anderen Instanzen geplant ist, basiert auch Donald Trumps strauchelnde Seite truth dot social auf Mastodon und könnte deshalb im Fediverse auftauchen. Aktives Block und deföderieren ist eine zentrale Aufgabe von aufmerksamen Adminas.

Stay around

Dieser Text ist wenig überraschend länger geworden, als ich das geplant hatte. Aber ich hatte mir auch vorgenommen, nicht die erste Welle an Menschen damit zu erreichen, die sich einen Account auf mastodon.social geklickt haben, und - teils zurecht - nichts interessantes dort für sich fanden. Aber wenn ihr in den ersten Wochen nach dem Verkauf von Twitter vielleicht immer noch manchmal hier seid, dann kann auch dieser Beitrag eventuell helfen, besser zu verstehen, was hier im Fediverse so abläuft.

Bleibt nicht auf den super großen Instanzen.

Traut euch, mal wieder was anderes als Selbstpromotion im Internet zu machen.

And: Keep the Fediverse weird.

 

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